Bundesverfassungsgericht verlangt Ausbau der Geheimdienstkontrolle
Der deutsche Auslandsgeheimdienst BND muss sich künftig besser kontrollieren lassen, darf aber die Massenüberwachung der Telekommunikation fortführen. Dem Gesetzgeber hat das Bundesverfassungsgericht mit seinem heutigen Urteil erneut ins Stammbuch geschrieben, wie eklatant er beim BND-Gesetz die Grundrechte missachtet hat.
Mit seinem Urteil [1] zum BND-Gesetz hat das Bundesverfassungsgericht heute die unbeschränkte massenhafte Kommunikationsüberwachung durch den Bundesnachrichtendienst als grundgesetzwidrig erkannt. Das Urteil beendet den bisherigen Ansatz der Massenüberwachung, bei der der Geheimdienst im Wesentlichen nach eigenem Gutdünken und ohne effektive Kontrolle agieren konnte und Nicht-Deutsche als Überwachungsfreiwild galten. Die Vorschriften des Urteils für eine zukünftige Regelung sehen eine unabhängige und umfangreiche Kontrolle der geheimdienstlichen Überwachungsmaßnahmen vor. Dafür muss eine entsprechende Instanz aufgebaut werden.
Zwar hat das Gericht durch die Anerkennung der Grundrechte auch für Ausländer einen Pflock für die Menschenrechte eingeschlagen, erlaubt aber eine Weiterführung der bisherigen Massenüberwachung. Verlangt wird jedoch eine stärkere Zielgerichtetheit mit gesetzlicher Neuregelung und einer neuen Kontrollinstanz. Dem Gesetzgeber wurde aufgegeben, den Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung für die Betroffenen der BND-Überwachungsmaßnahmen zu verbessern.
„Entscheidend wird sein, mit welchen Mitteln und Rechten diese neue Kontrollinstanz ausgestattet wird. Daran wird sich bemessen, ob sie den Geheimdienst wirksam kontrollieren kann“, sagte Frank Rieger, einer der Sprecher des Chaos Computer Clubs. „Das Gericht hat die Praxis der Massenüberwachung an sich nicht beendet, es hat aber eine bessere Kontrolle vorgeschrieben.“
Das Verfassungsgericht hat durch das Urteil dem seit den Snowden-Enthüllungen offensichtlichen Graubereich des internationalen Ringtausches von Geheimdienst-Abhördaten Beschränkungen auferlegt. Insbesondere die bisherige Praxis des unkontrollierten Datentauschs zur Umgehung von Abhör-Beschränkungen ist dann nicht mehr möglich. Das Schattenreich der bilateralen Geheimdienst-Abkommen soll nun – soweit es den BND betrifft – einer Kontrolle und Nachvollziehbarkeit unterworfen werden.
„Leider hat sich das Gericht nicht dazu durchringen können, die globale Überwachungspraxis des BND grundsätzlich zu beenden. Es versucht nur, sie in einen konkreteren rechtlichen Rahmen zu pressen“, fasste Frank Rieger zusammen. „Dass Grundrechte prinzipiell für alle Menschen weltweit gelten, ist eine wichtige Entscheidung. Leider wird sie im Urteil durch diverse mögliche Gründe für Grundrechtseinschränkungen deutlich relativiert.“
Noch vor dem Ende des BND-NSA-Untersuchungsauschusses wurde das BND-Gesetz 2017 reformiert. Im Wesentlichen wurde dabei die rechtswidrige Praxis des Auslandsgeheimdiensts ins Gesetz gegossen. Eine längst überfällige wirksame Geheimdienstkontrolle wurde nicht vorgesehen.
Das Bundesverfassungsgericht hat mit diesem Urteil zum wiederholten Male ein Überwachungsgesetz als verfassungswidrig eingestuft. Dass die Politik weit entfernt davon ist, schon im Gesetzgebungsverfahren grundgesetzkonforme Regelungen zu finden, ist und bleibt ein Skandal. Der Gesetzgeber muss nach diesem Urteil endlich reflektieren, wie er sich zu den Grundrechten stellt und ob er sich weiterhin so grobe Schnitzer wie den Verstoß gegen das Zitiergebot leisten will. Abstruse Konstrukte wie die „Funktionsträgertheorie“ oder die „Weltraumtheorie“ wurden vom Bundesverfassungsgericht mit diesem Urteil komplett abgeräumt.
Der Chaos Computer Club war im Rahmen des Verfahrens als Sachverständiger für das Bundesverfassungsgericht tätig und hat dazu eine Stellungnahme verfasst. [3] [4]
Links:
- Original: https://www.ccc.de/de/updates/2020/bverfg-geheimdienstkontrolle
- Verfasser: erdgeist