Julia Reda: Artikel 13 ist wieder auf der Zielgeraden – und er ist schlimmer als je zuvor

Julia Reda: Artikel 13 ist wieder auf der Zielgeraden – und er ist schlimmer als je zuvor

Wir erinnern uns: Am 18. Januar standen die Verhandlungen um die neue EU-Urheberrechtsreform plötzlich still, nachdem sich die Regierungen der Mitgliedstaaten auf keine  gemeinsame Position zum kontroversen Artikel 13 einigen konnten, der  Plattformen zum Einsatz fehlerhafter Uploadfilter zwingt. Ohne  eine solche Einigung im Rat musste die letzte sogenannte  Trilogverhandlung abgesagt werden, wo die Reform eigentlich zwischen  Europaparlament und Rat hätte ausverhandelt werden sollen. Die ganze  Reform war in der Schwebe, weil die Europawahlen im Mai alle Mehrheiten  ändern könnten.

Entgegen mancher Berichte war dieser Verhandlungsstopp aber nicht allein darauf zurückzuführen, dass die nationalen Regierungen auf die beispiellose öffentliche Kritik gehört und verstanden hatten, dass Uploadfilter kostspielig, fehlerhaft und grundrechtswidrig sind. Zweifelsohne hat der öffentliche Protest  dazu beigetragen, dass anders als im Vorjahr nicht nur sechs, sondern  elf Regierungen gegen die Verhandlungsposition gestimmt haben. Aber  letztendlich hing das Zustandekommen einer Ratsposition an einer Einigung zwischen Deutschland und Frankreich,  die aufgrund ihrer hohen Bevölkerungszahl beide ein Verhandlungsmandat  blockieren konnten. Der Verhandlungsstopp hing also auch unmittelbar mit  einer fehlenden Einigung zwischen Deutschland und Frankreich zusammen –  nicht über die Frage, ob Uploadfilter überhaupt zum Einsatz kommen  sollen, sondern lediglich darüber, welche Plattformen zum Zensieren der User-Uploads verpflichtet werden sollen:

  • Frankreichs Position: Artikel 13 ist super und sollte für alle  Plattformen gelten, egal wie klein sie sind. Alle Plattformen müssen  demonstrieren, dass sie alles erdenklich Mögliche getan haben, um den  Upload urheberrechtlich geschützter Inhalte bereits im Vorfeld zu  verhindern. Im Falle kleiner Unternehmen kann das den Einsatz von  Uploadfiltern bedeuten, muss es aber nicht – letztendlich soll das ein  Gericht im Einzelfall entscheiden (das war die bisherige Ratsposition der Mehrheit der nationalen Regierungen,  mit der Unterstützung Frankreichs, ehe Italiens neue Regierung sich  grundsätzlich gegen den Artikel 13 stellte und dieser Position somit die  qualifizierte Mehrheit entzog.)
  • Deutschlands Position: Artikel 13 ist super, soll aber nicht für  alle gelten. Unternehmen mit einem Jahresumsazu von weniger als 20  Millionen Euro pro Jahr sollten vollständig von Artikel 13 ausgenommen  sein, um europäische Startups und Kleinunternehmen zu schützen. (Das war  nahe an der Position des Europäische Parlaments, das immerhin eine  Ausnahme für Unternehmen mit einem Jahresumsatz unter 10 Millionen Euro  und weniger als 50 Beschäftigten vorsieht.) Worauf Deutschland und Frankreich sich einigen konnten: Eine weitere Verschärfung von Artikel 13

Der deutsch-französische Deal, der heute geleakt ist, sieht vor, dass Artikel 13 für alle profitorientierten Plattformen gilt. Alle müssen Uploadfilter installieren, es sei denn, sie erfüllen alle drei der folgenden extrem engen Kriterien:

1. Die Plattform ist jünger als 3 Jahre alt
2. Der Jahrsumsatz beträgt weniger als 10 Millionen Euro
3. Die Plattform hat weniger als 5 Millionen Nutzer pro Monat

Unzählige völlig harmlose Apps und Webseiten, die nicht alle dieser  Kriterien erfüllen, müssten demnach Uploadfilter installieren, die User  und Betreiber gleichermaßen schädigen, selbst wenn die Plattform bisher  überhaupt kein Problem mit Urheberrechtsverletzungen hat. Einige  Beispiele:

  • Diskussionsforen auf kommerziellen Nachrichtenseiten wie das Heise-Forum oder das Forum von Ars Technica (beide älter als 3 Jahre)
  • Patreon, eine Plattform, deren einziger Zweck es ist,  Urhebern eine faire Bezahlung für ihre Werke zu ermöglichen (erfüllt  keines der drei Kriterien)
  • Soziale Netzwerke für Nischenthemen, wie zum Beispiel GetReeled, eine Plattform, die Angler*innen miteinander vernetzt (deutlich unter 5 Millionen Usern, aber älter als 3 Jahre)
  • Kleine europäische Wettbewerber zu den größeren amerikanischen Namen, wie zum Beispiel Wykop,  eine polnische Nachrichtenplattform ähnlich zu reddit (deutlich unter  10 Millionen Euro Jahresumsatz, aber je nach Zählmethode mehr als 5  Millionen User)

Darüber hinaus müssten selbst die kleinsten, neusten Plattformen, die alle drei Kriterien erfüllen, beweisen, dass sie „größte Bemühungen“ unternommen haben, um von Rechteinhabern Lizenzen einzuholen.  Eine unmögliche Aufgabe, da Plattformbetreiber für alle möglichen  Inhalte, die ihre Nutzer potentiell hochladen könnten, Lizenzen einholen  müssten. Es müssten alle Plattenfirmen, Buchverläge, Bildagenturen und  so weiter abgeklappert werden – eine unbewältigbare Aufgabe. In der  Praxis hieße das, dass alle Websiten und Apps, die Uploads erlauben, gezwungenermaßen jede ihnen angebotene Lizenz annehmen müssten – egal wie unfair die Bedingungen sind, egal, ob sie die Inhalte auf ihrer Plattform überhaupt verfügbar machen wollen.

Zusammengefasst: Der deutsch-französische Kompromiss zu Artikel 13  verlangt, dass fast alle unsere Posts oder geteilten Inhalte online von  einer „Zensurmaschine“ – Algorithmen, die grundsätzlich nicht dazu in  der Lage sind, zwischen Urheberrechtsverstößen und legaler Nutzung für  Parodie oder Kritikzwecke zu unterscheiden – vorab Existenzerlaubnis  erhalten. Es würde diesen Rechteinhabern erlauben, jede profitorientierte Website oder App mit Uploadfunktion zu drangsalieren. Europäische  Innovation online würde entmutigt werden, wenn solche hohen Kosten und  rechtliche Risiken für Startups bestünden – auch wenn sie erst dann  eintreten, wenn Plattformen entweder erfolgreich oder 3 Jahre alt  geworden sind. Nicht-europäischen Seiten würde ein Anreiz geschaffen werden, einfach alle EU-Nutzer zur Sicherheit zu geoblocken.

Jetzt hängt alles vom Europäischen Parlament ab

Nach der Überwindung dieser Hürde können die Trilogverhandlungen zum Abschluss der Urheberrechtsreform weitergehen.  Für die Verhandler*innen besteht ein massiver Druck, keine Zeit aufs  Nachdenken zu verlieren und stattdessen in den nächsten Tagen zu einer  Vereinbarung zu kommen, um die Richtlinie im März oder April noch  verabschieden zu können. Höchstwahrscheinlich sind die nächsten  Schritte, dass am Freitag den 8. Februar die Ratsposition, ausgeheckt  von Frankreich und Deutschland, beschlossen und daraufhin am Montag den 11. Februar der abschließende Trilog stattfinden wird.

Eure Abgeordneten, ein Großteil derer gerne wiedergewählt werden  würde, werden in einer finalen Abstimmung das letzte Wort haben. Letzten  September fand Artikel 13 im Parlament nur eine sehr knappe Mehrheit,  nachdem eine Ausnahme für kleine und mittelständische Unternehmen  eingebaut wurde, die im Gegensatz zum deutsch-französischen Deal den  Namen verdient. Ob der Verhandlungsführer für das Parlament, Axel Voss,  am Montag auf dieser Ausnahme bestehen wird, ist aber mehr als fraglich.

Ob eure Abgeordneten diese schädliche Version von Artikel 13 ablehnen  werden (wie ursprünglich im Juli 2018), oder ob sie sich von  Lobbyinteressen blenden lassen, hängt davon ab, ob wir ihnen klar machen  können: Wenn ihr das Internet zerstört und Artikel 13 durchwinkt, wählen wir euch nicht wieder.

Quelle: https://juliareda.eu/2019/02/artikel-13-schlimmer/